Veranstaltungsbericht | veröffentlicht am 16.05.2024
Das war die KonfBD24: MIND THE GAP – Chancengerechtigkeit im Zeichen des Digital Divide
von Anna Hückelheim
Bildungserfolg hängt in Deutschland immer noch maßgeblich vom Elternhaus ab. Im Kontext der digitalen Transformation und im Zeichen des Digital Divide ist Chancengerechtigkeit die zentrale Herausforderung im schulischen Bildungsbereich. Über politische Strategien und praktische pädagogische Maßnahmen diskutierten über 700 Teilnehmende und rund 150 Speaker:innen auf der achten Konferenz Bildung Digitalisierung (KonfBD24), der Leitkonferenz für Schule in der Kultur der Digitalität im deutschsprachigen Raum.
Am Ende der Konferenz Bildung Digitalisierung 2024 (KonfBD24) am 24. und 25. April im Berliner silent green Kulturquartier ist klar: Deutschland braucht eine Verständigung auf eine gemeinsame Vision für die Gestaltung der digitalen Transformation im schulischen Bildungsbereich. Denn „was die Zielbestimmungen in einem Bildungssystem sind, hat unglaublich viel Einfluss darauf, was und wie gelernt und unterrichtet wird“, erklärte treffend Andreas Schleicher, Direktor für Bildung und Kompetenzen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) im Panel „Vision einer zeitgemäßen Bildung: Ein internationaler Blick“. Deutschland sei noch sehr darauf bedacht, Wissen zu vermitteln, beschrieb der aus Singapur zugeschaltete PISA-Koordinator den aktuellen Stand. Die digital geprägte Welt, in der sich Fragen auf Knopfdruck beantworten lassen, belohne bloßes Wissen jedoch nicht mehr. Aus Sicht von Andreas Schleicher müsse eine zukunftsfähige Bildung eine Mischung aus technologischen sowie analogen Kompetenzen, darunter Kritisches und Kreatives Denken, Kooperations- und Problemlösefähigkeit bieten. Aber wie transformieren wir das Bildungssystem im Sinne einer zukunftsfähigen und chancengerechten schulischen Bildung insbesondere vor dem Hintergrund des Digital Divide, einer im internationalen Vergleich wachsenden sozialen Schere und rückläufigen Leistungen der Schüler:innen? Diese Frage stand im Mittelpunkt der zweitägigen Leitkonferenz für Schule in der Kultur der Digitalität, die vom Forum Bildung Digitalisierung zum achten Mal veranstaltet wurde und mehr als 800 Akteur:innen aus Bildungspraxis, Politik, Verwaltung, Wissenschaft und Zivilgesellschaft in den Austausch brachte.
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Drei strategische Handlungsfelder für die digitale Transformation
Eine umfassende Diskussionsgrundlage für eine Verständigung auf eine gemeinsame Vision und Zielvorstellungen lieferte eine Keynote mit anschließender Fishbowl zum Navigator Bildung Digitalisierung (Navigator BD). Die vom Forum Bildung Digitalisierung beauftragte Studie schlägt einen Entwurf für eine Konzeptionierung der digitalen Transformation mit 21 Indikatoren entlang von drei strategischen Handlungsfeldern vor: Haltung zur Kultur der Digitalität, digital-förderliche Rahmenbedingungen sowie digital-didaktische Konzepte und Qualifizierung. Entwickelt haben den Navigator BD Prof. Dr. Birgit Eickelmann, Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn, Prof. Dr. Julia Gerick, Professorin für Empirische Bildungsforschung mit dem Schwerpunkt Schulentwicklungsforschung an der Technischen Universität Braunschweig, Prof. Dr. Uta Hauck-Thum, Professorin für Grundschulpädagogik und -didaktik an der Ludwig-Maximilians-Universität, sowie Prof. Dr. Kai Maaz, Geschäftsführender Direktor des DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation. Ziel des Navigator BD sei es, aus der Forschungsperspektive heraus einen Beitrag zu leisten, um die digitale Transformation in Deutschland ein Stück weit voranzubringen. „Uns ist wichtig zu sagen: Das ist ein Entwurf“, so Prof. Dr. Birgit Eickelmann, die als wissenschaftliche Leitung des Vorhabens fungiert. Der Navigator BD solle einen Beitrag für notwendige gemeinschaftliche Aushandlungsprozesse leisten. Ansatzpunkte gibt es demnach genug. Veränderungsprozesse können zum Beispiel am Kooperations- und Rollenverständnis aller beteiligten Akteur:innen im Bildungsbereich ansetzen, bei der Infrastruktur, Ausstattung und Schulkultur sowie der Qualifizierung von Lehrkräften, Schulleitungen oder Schulaufsichten. „Digitale Transformationsprozesse in der Kultur der Digitalität erfordern eine völlig neue Schule“, fasst Prof. Dr. Uta Hauck-Thum das Konzept im Zuge der Vorstellung zusammen.
Schüler:innen wünschen sich mehr Beteiligung
Viele der im Navigator BD identifizierten Themenfelder finden sich in den Paneldiskussionen, Keynotes, Lightning Talks, Sessions und Meet-ups im Programm der KonfBD24 wieder. Etwa in dem Wunsch, die Lehrkräfteausbildung zukunftsfähiger zu gestalten und beide Phasen besser aufeinander abzustimmen, dem Impuls, sich international inspirieren zu lassen und mehr im Team zu arbeiten, oder in der Forderung nach mehr Beteiligung, die vor allem die anwesenden Schüler:innen äußerten. Für mehr Partizipation junger Menschen engagiert sich auch der 20-jährige Harrison Krampe, ehemaliger stellvertretender Stadtschulsprecher im StadtschülerInnenrat Frankfurt am Main. In seinem Lightning Talk mit dem Titel „Teilhabe darf kein Zufall sein! Jugendbeteiligung in Zeiten der Digitalisierung – eine neue Chance“ widersprach er dem Vorurteil der politikverdrossenen Jugend. Es brauche niedrigschwellige Zugänge, damit Jugendliche ihre Motivation, etwas ändern zu wollen, nicht verlieren. Besonders in Zeiten erstarkender demokratiefeindlicher Strömungen sei es wichtiger denn je, sie an Gesellschaft und Politik zu beteiligen. „Gebt ihnen nicht nur einen Platz am Tisch, sondern auch Verantwortung!“, appellierte Harrison Krampe an das Publikum und versprach: „Sie werden positiv überrascht sein.“ Mit Blick auf die Stärkung der Schüler:innenbeteiligung geht das Forum Bildung Digitalisierung gemeinsam mit der Deutsche Telekom Stiftung mit gutem Beispiel voran: Die KonfBD24 war auch der Kick-off des neuen Projekts Generation BD, mit dem die Teilhabe von Schüler:innen am bildungspolitischen Diskurs gestärkt werden solle, wie Ralph Müller-Eiselt, Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung, bei der Begrüßung erklärte. „Weil uns einfach total wichtig ist, dass nicht nur über Schüler:innen, sondern auch mit ihnen gesprochen wird.“
»Gebt Schüler:innen nicht nur einen Platz am Tisch, sondern auch Verantwortung! Sie werden positiv überrascht sein.«Harrison Krampe Ehemaliger Stadtschulsprecher, StadtschülerInnenrat Frankfurt am Main
Im Talk „KI in Schule: Vom Verstärker sozialer Ungleichheiten zum Nivellierer“ saß Romance Bassingha, Abiturientin und Schüler:innensprecherin aus Bochum. Sie war mit einem Wunsch gekommen, mit dem sie nicht allein war, dem nach – auch im Jahr 2024 – notwendiger technischer Infrastruktur. „Es wäre schön, wenn alle Schulen überhaupt mal mit Internet ausgestattet würden.“ Eine gute Nachricht überbrachte in diesem Zusammenhang die SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken im Auftaktgespräch der KonfBD24. „Ich bin sicher, dass er kommt“, sagte sie im Gespräch mit Soziologin Prof. Dr. Jutta Allmendinger. Gemeint war der Digitalpakt 2.0, über den Länder und Kommunen vom Bund weitere Mittel, unter anderem zur technischen Ausstattung der Schulen, erhalten sollen. Die Erleichterung Allmendingers auf diese Zusage war im Saal zu spüren. Dass allerdings für das Ziel der Chancengerechtigkeit umfassendere Maßnahmen nötig seien, hatte die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) schon vorher deutlich gemacht und dafür etwa eine bessere Verzahnung der Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Kommunen gefordert. Jedes Kind müsse von Anfang an die Unterstützung erhalten, die es benötige, ganz im Sinne einer übergeordneten Strategie unter dem Leitmotto „No one left behind!“. Die Frage nach einer Digitalstrategie wäre ein untergeordnetes Ziel dieser oberen Mission, die durch eine ganze Kette von Maßnahmen erfüllt werden müsse, so Prof. Dr. Jutta Allmendinger.
Good Practice: Wie Schulen an einer chancengerechten digitalen Transformation arbeiten
Mit Details zum Stand der laufenden Digitalpakt-Verhandlungen hielt sich Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger in ihrem digitalen Grußwort noch zurück. Sie betonte aber, dass die Neuauflage das erste Programm nicht kopieren und neben der Ausstattung der Schulen auch die Qualifizierung des pädagogischen Personals in den Blick nehmen müsse. Ihr Appell an die Teilnehmenden: „Sammeln Sie Best Practices.“ Positive Beispiele und Impulse, wie sich eine chancengerechte digitale Transformation umsetzen lässt, bot die KonfBD24 mit 68 Programmpunkten reichlich, beispielsweise zum Thema Inklusion. In einem Panel berichtete Helmut Klemm, Schulleiter der Eichendorffschule im bayerischen Erlangen, wie er und sein Kollegium die Schüler:innen individuell fördern: in Lernbüros mit selbst erstellten digitalen Lernbausteinen, die sich die Lernenden „in hohem Maße selbst erschließen können“. Gleichzeitig bedeute dieses Lernarrangement durch seine geringere Lehrendenzentrierung, dass sich Zeiten im Lernbüro leichter vertreten lassen. Dies biete den Lehrkräften die Chance, regelmäßig bei Kolleg:innen zu hospitieren und sich fortzubilden.
Silke Müller, Schulleiterin der Waldschule Hatten, warb in einer kritischen Intervention dafür, sich notwendige Unterstützung von außen in die Schule zu holen – nicht nur im Zuge der Digitalisierung. Sie berichtete von den positiven Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit der Hacker School von Dr. Julia Freudenberg. Der Workshop habe ihren Schüler:innen nicht nur ermöglicht, das Programmieren für sich zu entdecken, sondern auch einen Einblick in ein weites Berufsfeld geboten. Ihr Plädoyer lautete daher: „Macht die Türen auf und holt die Expert:innen, aber auch diejenigen, die einfach Bock haben, Schule zu unterstützen, in die Schule.“
In einem offenen Meet-up präsentierte Prof. Dr. Sebastian Becker-Genschow, Leiter des Forschungsgebiets Digitale Bildung an der Universität zu Köln, seine Vision von individueller Förderung mithilfe Künstlicher Intelligenz (KI), genauer gesagt mit KI-Lernagenten. Mit ihnen könnten Lehrkräfte den Lernfortschritt der einzelnen Schüler:innen verfolgen und allen ein direktes Feedback geben. Auf die jeweils spezifischen Bedarfe programmiert – das sei Dank KI auch ohne Kenntnisse von Programmiersprache möglich – ließe sich mit dieser Art digitaler Avatar das Postulat erfüllen, 30 Kinder in 45 Minuten individuell zu fördern.
Ralph Müller-Eiselt: „Weg von einem Projektvorhaben, hin zu einer Dauerfinanzierung”
Auf der Suche nach einer Gesamtstrategie für eine chancengerechte digitale Transformation ist im Zuge der KonfBD24 deutlich geworden, dass ein solch umfassender Veränderungsprozess definitiv kein Selbstläufer ist, wie es Ralph Müller-Eiselt im Abschlusspanel formulierte. Das beginnt – wie dabei schnell deutlich wurde – schon in der Politik, die die Grundlagen legen soll.
Dr. Jens Brandenburg, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesbildungsministerium, berichtete aktuell von den laufenden Verhandlungen zwischen Bund und Ländern um den Digitalpakt 2.0. Zwar betonte er: „Es gibt eine breite Einigkeit, dass die Digitalisierung nicht aufhört. Das heißt, der Digitalpakt 2.0, der ja nächstes Jahr starten soll, muss kommen.“ Er sagte aber auch: „Beim Wie gibt es noch erheblichen Gesprächsbedarf.” So sei Politik nun einmal. Als Brandenburg dann die Bühne eilig verlassen wollte, weil eine namentliche Abstimmung im Bundestag anstand, wurde er von Christina Henke, Berliner Staatssekretärin für Bildung, nochmal zurück nach oben gewunken. Sie appellierte an Brandenburg, die Perspektive der Länder nicht außer Acht zu lassen. „Denn am Ende sind wir es, die es umsetzen.“
Österreichs Bildungsminister Prof. Dr. Martin Polaschek, für den die Teilnahme an der KonfBD24 ein Termin im Zuge einer Delegationsreise mit Vertreter:innen aus der österreichischen Bildungspolitik und -verwaltung war, gab sich mit Blick auf die Mühen des deutschen Föderalismus verständnisvoll: Die Thematik sei nicht fremd, wenngleich in der Alpenrepublik der Bund über mehr Kompetenzen in der Bildungspolitik verfügt, was den Koordinationsaufwand verringere. Österreichs Schulen hätten deshalb einen „massiven Digitalisierungsschub“ erlebt, der in Deutschland in dieser Geschwindigkeit wohl nicht möglich wäre. Ralph Müller-Eiselt richtete den Fokus nochmal weg vom politischen Streit um Ressourcen und Kompetenzen, hin zum grundlegenden Verständnis, das über ein Projektvorhaben hinausgehe. „Es geht darum, in eine Dauerfinanzierung zu kommen“, forderte der Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung. Digitale Bildung benötige Nachhaltigkeit – gerade auch mit Blick auf das Thema der KonfBD24, die Chancengerechtigkeit.
Hoffnungsvoll stimmt vor diesem Hintergrund das enorme Interesse an der KonfBD24: Nie war der Zuspruch größer als in diesem Jahr – schon Monate zuvor war sie ausgebucht gewesen. Und am guten Willen der Politik mangelt es auch nicht, wie Karin Prien, Ministerin für Allgemeine und Berufliche Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Schleswig-Holstein, zuvor deutlich gemacht hatte. „Bei allem Verständnis für die Ungeduld, Sie glauben gar nicht, wie ungeduldig ich bin“, sagte sie energisch mit Blick auf die Umsetzung von Reformmaßnahmen. Es gäbe nun einmal Abläufe, an denen sie als politisch Verantwortliche nicht vorbeikomme. „Trotzdem muss ich mein Parlament mitnehmen, trotzdem gibt es Haushaltsberatungen, die nur einmal im Jahr stattfinden“, dafür werbe sie um Verständnis.
Kontakt
Sie haben Fragen zur Konferenz Bildung Digitalisierung 2024 oder interessieren sich bereits für die nächste KonfBD am 24. und 25. September 2025? Melden Sie sich gerne bei uns. Wir freuen uns über Ihre Nachricht!
Ari Henjes-Kunst (kein Pronomen)
Leitung Handlungsfeld „Kultur der Digitalität“
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