Veranstaltungsbericht | veröffentlicht am 28.06.2021
Fachtagung „Dimension Digitalisierung – Schulleitungen stärken“
von Klaus Lüber
Im Rahmen der vierten Fachtagung „Dimension Digitalisierung – Schulleitungen stärken“ am 14. und 15. Juni diskutierten über 200 Vertreter:innen pädagogischer Landesinstitute, Kultusministerien und zivilgesellschaftlicher Organisationen unter anderem darüber, wie man im Corona-Lockdown gesammelte Erfahrungen in der Zeit nach der Pandemie für die digitale Transformation weiter nutzen kann.
Eigentlich hatte sich nichts geändert am Status quo und dennoch war vieles anders auf der inzwischen vierten Ausgabe der Fachtagung „Dimension Digitalisierung – Schulleitungen stärken“, die das Forum Bildung Digitalisierung in Kooperation mit der Kultusministerkonferenz (KMK) und dem Sächsischen Staatsministerium für Kultus ausrichtete. Eine zentrale Frage auch bei diesem Treffen: Wie kann mit digitalen Werkzeugen analoger Unterricht sinnvoll ergänzt werden? Britta Ernst, Präsidentin der Kultusministerkonferenz, formulierte sie bereits in ihrem Grußwort. Um dann aber gleich zu ergänzen, welchen großen Schritt man inzwischen doch durch den Druck der Pandemie vorangekommen sei: „Die Bereitschaft der Lehrkräfte für digitalen Unterricht ist gestiegen, Schulen haben einen enormen Entwicklungsschub erlebt“, so Ernst. „Diese Erfahrungen sind wegweisend.“
Was bedeutet diese Situation nun konkret für die Rolle von Schulleitungen? Sie müssten den Impuls nutzen, um zu einem anderen Verständnis von Führung zu gelangen, argumentierte Stephan Huber, Professor an der Pädagogischen Hochschule Zug, in seinem einleitenden Impulsvortrag. Schulentwicklung müsse sich der Verantwortung bewusst werden, die Komplexität des Wandels ernst zu nehmen, den wir gerade erleben. Responsible Leadership nennt Huber das und fordert einen Perspektivwechsel: weg von Auseinandersetzung mit Einzelkompetenzen hin zur Entwicklung einer Gesamtstrategie. „Es geht nicht nur um Know-how, sondern um Know-why.“
Hohe Belastungsgrade
Entscheidend für den Experten ist dabei die Erkenntnis, dass der Innovationsschub durch die Pandemie zwar die Scheu vieler Schulleitungen vor dem Einsatz digitaler Tools in der Unterrichtsentwicklung genommen habe, die Erfahrungen dennoch sehr unterschiedlich ausgefallen seien. „Man muss sehr aufpassen, die Schulen nicht über einen Kamm zu scheren“, so Huber. Gerade die Situation im Lockdown habe nicht nur die Chancen, sondern auch die immer noch bestehenden Vorbehalte gegenüber den Möglichkeiten der Digitalisierung offengelegt. „Es gibt immer noch eine nicht kleine Gruppe von Lehrenden, die fragen: Wann ist der Spuk endlich vorbei, wann kann es weitergehen wie bisher?“ Gerade deshalb sei es als Schulleitung so wichtig, sinnstiftend zu agieren und ein klares Zielbild zu formulieren. Huber: „Nur dann kann man ja entscheiden: Was bewahren, was optimieren, was innovieren wir?“
Das alles sind komplexe Prozesse und man könnte sich natürlich fragen, inwieweit Schulleiter:innen einer solchen Aufgabe überhaupt gewachsen sind. Gerade wenn, wie es im Verlauf der Fachtagung immer wieder zur Sprache kam, der vermehrte Einsatz digitaler Medien auch gleichzeitig zu deutlich höheren Belastungsgraden führt. Und so gibt es inzwischen eine wahre Flut an Qualifizierungsangeboten für Schulleitungen und ihren Teams, die in Format und Inhalt allerdings so heterogen sind, dass eine klare Entscheidung für oder gegen ein Angebot im Augenblick noch schwerfällt.
Qualifizierung von Schulleitungen
Ein demnächst erscheinendes Impulspapier des Forum Bildung Digitalisierung soll hier Abhilfe schaffen. In Kooperation mit der Fachhochschule Nordwestschweiz und der Technischen Universität Braunschweig will man das Qualifizierungsangebot für Schulleitungen systematisieren und nach Schwerpunkten sortieren. Vorgestellt wurde das Vorhaben im Rahmen eines digitalen Markts der Möglichkeiten. Insgesamt 20 frei betret- und wechselbare virtuelle Räume sollten den Teilnehmenden eine Übersicht darüber bieten, was aktuell im Bereich digitaler Schulentwicklung sowie zur Unterstützung und Qualifizierung von Schulleitungen schon möglich ist oder was bereits umgesetzt wird. Noch befinde man sich in einer Phase der Materialsichtung, so hieß es vonseiten des am Impulspapier arbeitenden wissenschaftlichen Teams. Ein interessanter Aspekt zeige sich aber schon jetzt: So richteten sich viele Fortbildungen gar nicht ausschließlich an Schulleitungen, sondern beziehen noch viele andere Akteure mit ein. Was zur spannenden Frage führe: Wo genau siedelt man digitale Kompetenz in Schulentwicklungsfragen überhaupt an?
Schon teilweise beantwortet haben diese Frage das Bildungsministerium und die Kommunalen Spitzenverbände des Landes Rheinland-Pfalz. Hier tritt noch in diesem Jahr eine Vereinbarung in Kraft, die den technischen Support an Schulen zukünftig in die Hand der Schulträger legt – mit dem Ziel, die Schulleitungen in diesem Bereich zu entlasten und Kompetenzen auf mehrere Akteure zu verteilen. Grundsätzlich eine gute Idee, doch funktioniert sie auch in der Praxis? Auch dies wurde im Rahmen des Markts der Möglichkeiten diskutiert. Wenngleich aus der Schulpraxis grundsätzlich positive Rückmeldungen kamen, wolle man dennoch sehen, wie sich das Konzept im Schulalltag bewährt. Technische Probleme, so eine Schulleiterin, treten in der Regel ja im laufenden Betrieb auf und müssten auch schnell gelöst werden: „Man kann ja nicht bei jedem falsch gesteckten Kabel den Schulträger kontaktieren.“ Um dann nicht doch wieder ständig die technisch versierteste Lehrkraft aus dem Unterricht holen zu müssen, benötige man personelle und zeitliche Ressourcen direkt vor Ort.
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Mehr Freiräume für Lehrende
Mehr Zeit, die Gelegenheit kurz aus dem Hamsterrad des Schulalltags herauszutreten – nicht nur, um einen Beamer richtig anzuschließen, sondern sich vielleicht ganz grundsätzlich über digitale Unterrichtsgestaltung Gedanken machen zu können – dies war auch einer der zentralen Punkte in der Präsentation des Gerda-Taro-Gymnasiums Leipzig. Konkret ging es um das Thema „Teamteaching auf digitalen Plattformen.“ Zwar habe man im Lockdown, so wurde berichtet, mehr gearbeitet denn je, konnte aber dennoch koordinierter agieren und habe sich damit mehr Freiräume für die individuelle Betreuung von Schüler:innen geschaffen. Ermöglicht wurde dies durch den Einsatz digitaler Hilfsmittel wie einer Lernplattform, Erklärvideos und dem Einrichten einer Videokonferenz für Feedbackgespräche. Dennoch gehe es im Kern um mehr als digitale Tools, so ein Mitglied des Kollegiums. Digitalisierung könne nicht durch Technik allein gelingen, sondern müsse eingebunden sein in eine bestimmte Lehr-Lernkultur: das Auflösen von Klassenstrukturen, selbstbestimmtes Lernen und Kooperationsmöglichkeiten unter Lehrkräften. Die Herausforderung sei es jetzt, so eine Teilnehmerin, die Impulse aus dem Lockdown hinüberzuretten in den post-pandemischen Alltag.
Dass dies immer stärker auch von der Politik erkannt wird, betonte Herbert Wolff, Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium für Kultus. Alle Bundesländer hätten inzwischen massiv investiert, unter anderem in die Bereitstellung von Lernmanagementsystemen und die Entwicklung Intelligenter Tutorieller Systeme (ITS). Diese sollen den Bildungsprozess nachhaltig verbessern und die Lehrkräfte entlasten. „Guter Unterricht lebt davon, dass diejenigen, die mehr Unterstützung bedürfen, diese erhalten und gleichzeitig besonders leistungsstarke Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung gefördert werden“, so Wolff.
Intelligente Systeme
Wie das Lernen mit ITS ganz aussehen könnte, darüber konnten die Teilnehmenden dann in der Workshop-Phase der Tagung mit Dr. Jens Drummer (Sächsisches Staatsministerium für Kultus) diskutieren und im gemeinsamen Austausch mithilfe eines Design-Thinking-Settings eigene Ideen und Fragestellungen entwickeln. Auch wenn hierbei nochmals deutlich wurde, wie groß das Potenzial solcher Systeme bei der ganz individuellen Betreuung von Lernenden ist, blieben dennoch einige Fragen offen – besonders bezüglich des Datenschutzes. Auch würde man sich eine Orientierung wünschen, welche Tools denn im Augenblick überhaupt empfohlen würden und auf welchem Wege man als Lehrkraft Lizenzen erwerben könnte.
Wenn denn ITS-Systeme einmal fest zum Unterrichtsgeschehen gehören, könnte das auch Einfluss haben auf die Art und Weise, wie Wissen in Prüfungsprozessen abgefragt werden. Damit beschäftigten sich die Teilnehmenden des Workshops „Zeitgemäße Prüfungskultur“, das vom kürzlich gegründeten Institut für zeitgemäße Prüfungskultur geleitet wurde. Hier stellte man sich die Frage: Wie können wir die schulische Prüfungskultur in der digitalen Welt verändern? Dazu zählte zunächst die Feststellung, dass ein Großteil des aktuellen Prüfungsgeschehens in Schulen summativ erfolgt, also als Abfrage eines Wissensstands am Ende eines Lernprozesses. Zu kurz komme dagegen das formative Feedback, also die individuelle Beurteilung während eines Lernprozesses. Beide Ansätze hätten ihre Berechtigung, das Idealbild sei eine ausgewogene Mischung aus beiden. Wie diese aussehen könnte, demonstriere etwa ein Selbsteinschätzungstool des Schulministeriums Nordrhein-Westfalen. Auf insgesamt fünf Schiebereglern mit entgegengesetzten Begriffspaaren (etwa Vertrauen und Freiheit versus Kontrolle und Struktur oder Peer-Feedback versus Feedback durch Lehrende) habe man die Möglichkeit, eine individuelle Abwägung zu treffen.
Tiefgreifende Veränderungen
Es ist also viel in Bewegung – und auch der Wille zur Veränderung, insbesondere im Bereich der Schulleitungen, habe zugenommen, worauf Birgit Eickelmann, Professorin für Schulpädagogik an der Universität Paderborn, in ihrem Vortrag zum Abschluss der Fachtagung hinwies. Im Rahmen der ICILS-Studie zu digitalen Kompetenzen im Bereich der Sekundarstufe I, die Eickelmann leitet, wird unter anderem die Haltung der Schulleitungen zur Digitalisierung abgefragt. „Hier konnten wir 2018 im Vergleich zu 2013 einen deutlichen Anstieg feststellen.“
Dennoch gebe es weiterhin viel zu tun, mahnte die Expertin. Besonders für die Schulleitungen bedeute das die Einarbeitung in viele neue Aufgabenfelder: von der Technologieentwicklung, den Themen Datensicherheit und Datenschutz über die Abstimmung mit Schulträgern bis hin zu Fragen der Personalentwicklung. Eine Herausforderung sei das zwar schon, aber schließlich gehe es auch um tiefgreifende Veränderungen, führte Eickelmann den Gedanken in der abschließenden Diskussionsrunde weiter. „Wir müssen das große Ganze in den Blick nehmen, es reicht nicht, wenn wir ständig nur an einzelnen Schräubchen drehen.“ Udo Michallik, Generalsekretär der Kultusministerkonferenz, ging hier sogar noch einen Schritt weiter: „Wir dürfen jetzt nicht so tun, als ob Digitalisierung nur in Schule stattfindet. Für mich ist die große Frage: Kriegen wir einen gesamtgesellschaftlichen Kulturwechsel hin? Nur dann haben wir letztlich eine Chance, auch im schulischen Kontext voranzukommen.“
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Zielbilder definieren
Wobei man im Panel dann doch auch das Bedürfnis spürte, die Zielsetzung einer grundlegenden Transformation immer wieder an den schulischen Alltag rückzubinden. So wünschte sich Juliane Stubenrauch-Böhme, Schulleiterin am Oskar-Maria-Graf-Gymnasium Neufahrn, vor allem einen verlässlichen IT-Support vor Ort. „Die Kolleg:innen brauchen einfach die Sicherheit einer funktionierenden Technik. Aufwändig und mit digitalen Mitteln vorbereitetes Lernmaterial darf nicht an einem falsch gesteckten Kabel scheitern.“ Ähnlich argumentierte auch der Psychologe Olaf Köller, Professor am Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik: „Ich halte es für einen Fehler, Schulleiter:innen in Zukunft Kompetenzen zusprechen zu wollen, für die es gut ausgebildete Fachkräfte gibt. In einem mittelständischen Unternehmen, womit ein großes Gymnasium durchaus vergleichbar ist, würde schließlich auch niemand auf die Idee kommen, den Vorstand mit der Frage allein zu lassen, wie man sich in Zukunft digital ausrichtet.“
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Einigen konnte man sich am Ende auf die Feststellung: Digitalisierung ist und bleibt ein Prozess, der einer ständigen Reflexion darüber bedarf, welche Maßnahmen man aus welchem Grund ergreift. „Wir haben gesehen, welche Chancen sich tatsächlich mit den digitalen Möglichkeiten ergeben haben in Zeiten der Pandemie“, so Jacob Chammon, Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung. „Wir sollten einen positiven zukunftsorientierten Blick darauf werfen, was wir mitnehmen wollen. Und uns dabei nicht nur fragen, was wir anders machen wollen, sondern auch warum. Wir brauchen ein gemeinsames Zielbild. Die Zeit ist reif, dafür die Weichen zu stellen.“