Veranstaltungsbericht | veröffentlicht am 26.09.2019

KonfBD19: NEXT PRACTICE – Bildungsinnovationen für den digitalen Wandel

von Klaus Lüber

Wie kann Schule auf eine zunehmend digitalisierte Welt vorbereiten? Welche gelungenen Beispiele gibt es und wie lassen sich diese nutzen, um einen Entwicklungsprozess im gesamten Bildungssystem anzustoßen? Das waren die zentralen Leitfragen der vierten Konferenz Bildung Digitalisierung (#KonfBD19) des Forum Bildung Digitalisierung in Berlin – mit über 700 Teilnehmenden und mehr als 90 Programmpunkten die bislang größte.

Foto: Florian Freund / CC BY 4.0

Das deutsche Bildungswesen ist komplex. Vermutlich nirgendwo sonst sind so viele staatliche Akteure daran beteiligt, Gelder zu verteilen und Bildungsziele zu definieren. Auf unterschiedlichen  Landesebenen werden die bildungspolitischen Rahmenbedingungen gestaltet und in unzähligen Kommunen erproben Schulträger und Schulen gemeinsam den Weg in die digitale Welt. Eines ist klar: Wer in einem solchen System sinnvolle Impulse setzen will, hat gar keine andere Chance, als alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen. „Das geht nur in partnerschaftlicher Zusammenarbeit“, wie Dr. Olaf Köster-Ehling, Vorstand der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, schon zu Beginn der Konferenz im Cafe Moskau betonte. Dr. Jörg Dräger, Mitglied im Vorstand der Bertelsmann Stiftung, ergänzte: „Die Veränderungsprozesse zwischen den Trägern, dem Kreis, den Schulen zu begleiten, ist eine Riesenherausforderung.“ Insbesondere dann, wenn es darum gehe, die Chancen der Digitalisierung in der Bildung kenntlich zu machen.

Mit genau diesem Auftrag ist das Forum Bildung Digitalisierung angetreten: Die Möglichkeiten digitaler Medien für die Schul- und Unterrichtsentwicklung besser zu nutzen. „Wir müssen heute nicht mehr beweisen, dass digitale Bildung funktioniert. Doch es reicht nicht, wenn sich einzelne Schulen oder Fächer auf den Weg machen. Die Frage ist, wie wir Impulse für echte systemische Veränderungen und Innovationen in der Breite setzen können“, sagte Dr. Nils Weichert, Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung. Gerade im Zuge der Bereitstellung digitaler Infrastruktur durch den Digitalpakt Schule, so Bundesbildungsministerin Anja Karliczek in einer Videobotschaft zur Eröffnung der Konferenz, erhalte auch die Frage, wie digitale Unterrichtsszenarien gutes Lernen fördern, noch einmal einen wesentlichen Impuls: „Es geht nicht um digitalisierte Schulen als vordergründigen Nachweis von Modernität. Es geht um die Ausschöpfung digitaler Möglichkeiten, um besser, individueller und nachhaltiger zu lernen.“

Digitalisierung als Querschnittsaufgabe

Wie also schafft man es, die Vorteile der Digitalisierung in die Breite der Bildungslandschaft zu bringen, statt sich auf den Vorbild- und Multiplikatoreffekt einzelner Leuchtturmprojekte zu verlassen? Wir müssen damit aufhören, so die zentrale Aussage in vielen Keynotes, Panels und Workshops, die Digitalisierung lediglich als eine weitere Herausforderung zu betrachten, die zu bereits bestehenden hinzukomme, sondern als Möglichkeit, diese zu bewältigen. „Wir kämen einen Riesenschritt weiter, wenn klarer würde, wie Digitalisierung uns etwa bei den Themen Inklusion und individuelle Förderung helfen kann“ – so fasste es etwa Sigrid Beer, Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung von Bündnis 90/Die Grünen, in einem Panel zum Digitalpakt zusammen.

Dieser Perspektivwechsel wird von vielen Akteuren des Bildungssystems noch schwer vollzogen – eines Bildungssystems, das, wie Inger Paus, Vorsitzende der Geschäftsführung der Vodafone Stiftung betonte, natürlich auch immer in Wechselwirkung mit der gesamtgesellschaftlichen Stimmung stehe. Die Vodafone Stiftung war Kooperationspartner der Konferenz und zeigte in einer aktuellen Studie: Obwohl sich viele Menschen grundsätzlich mehr Engagement vonseiten der Schulen im Bereich Digitalisierung wünschen, stehen sie, so ein überraschendes Ergebnis der Erhebung, konkreten Innovationen relativ ablehnend gegenüber. „Wir fanden es schon erstaunlich, dass offenbar immer noch die Hälfte aller Befragten keine Veranlassung sehen, am Konzept des klassischen Frontalunterrichts etwas zu ändern“, so Paus.

Echte Digitalisierung ist Beziehungsarbeit

Was dagegen auf der Konferenz an Beispielen für gelungene digitale Bildung zu sehen war, wäre auch bei der Mehrheit der Studienteilnehmenden auf Zustimmung gestoßen. So setzt die Ernst-Reuter-Schule Karlsruhe, nach eigener Einschätzung bereits im post-digitalen Zeitalter angekommen, digitale Tools inzwischen so selbstverständlich und effizient ein, sodass tatsächlich der Raum entsteht, Schule grundsätzlich neu zu denken. „Digitalisierung ermöglicht es uns, die Schule nach außen zu öffnen, neue Lernorte zu erschließen, sich für das Quartier zu öffnen“, fasste es Schulleiter Micha Pallesche zusammen. Ganz ähnlich äußerte sich Marina Weisband, Leiterin des Projekts aula – Schule gemeinsam gestalten. Der Diskurs um Digitalisierung sei im Grunde fast vollständig anschlussfähig an die Reformpädagogik der 1980er-Jahre: „Schon damals hieß es, Schule müsse sich der Lebenswelt öffnen und gute Bildung sei vor allem Beziehungsarbeit. Um nichts anderes geht es heute auch. Echte Digitalisierungsprozesse sind Beziehungsarbeit.“ Die Schule müsse aufhören, ein Museum zu sein, das die Kinder morgens betreten und nachmittags wieder verlassen, um zurückzukehren ins richtige Leben, so Myrle Dziak-Mahler, Leiterin des Zentrums für LehrerInnenbildung an der Universität Köln. Von einem besonders radikalen Perspektivwechsel hin zu einem ganzheitlichen Verständnis von Bildung in einer digitalisierten Welt berichtete Silke Müller, Schulleiterin an der Waldschule Hatten: „Die Kompetenz, die am Ende wirklich zählt in einer digitalisierten Welt und auf die wir uns als Schule konzentrieren sollten, ist die Fähigkeit, ethische Entscheidungen zu treffen.“

Große Bandbreite an Konzepten

Auch in diesem Jahr war es wieder eine Stärke der Konferenz, tief in die Praxis des Bildungssystems einzusteigen, sei es in den Bereichen Unterrichts-, Organisations- oder Netzwerkentwicklung, die auch den inhaltlichen Rahmen der insgesamt 60 angebotenen Workshops absteckten. Zum einen hatten die Teilnehmenden die Möglichkeit, sich von einer Vielzahl zivilgesellschaftlicher Initiativen inspirieren zu lassen, die schon seit vielen Jahren für innovative Konzepte im Bereich digitaler Bildung eintreten. Darunter war etwa die Stiftung Lernen durch Engagement, die für eine Integration gemeinnützigen Engagements in den Unterricht eintreten. Die Berliner Organisation Education Innovation Lab fokussiert sich auf die Entwicklung innovativer Lernformate und Materialien und arbeitet unter anderem eng zusammen mit Junge Tüftler, einem Projekt, das mobile Lernorte für die Bereiche Coding und Making anbietet.

Zum anderen wurden die Ergebnisse der Werkstatt schulentwicklung.digital präsentiert, die das Forum Bildung Digitalisierung durchführte. Im Rahmen von Workshops wurden Ansätze im Bereich Unterrichts- und Organisationsentwicklung präsentiert. Dabei ging es unter anderem um die Frage, wie digitale Tools im Unterricht eingesetzt werden können, um kollaboratives Arbeiten zu ermöglichen. Eine weitere Arbeitsgruppe hatte sich Gedanken zum Thema Fortbildung gemacht. „Der Klassiker ist ja: Neue Technik wird angeschafft und dann kommt die Firma, ist 90 Minuten in der Schule und nach ein paar Tage weiß schon niemand mehr, wie die Geräte im Detail funktionieren“, so ein Workshop-Teilnehmer. Der Lösungsvorschlag: Viele kleine, flexibel in den Arbeitsalltag integrierte Mikrofortbildungen, die die Lehrkräfte kontinuierlich und bedarfsgerecht an die neuen Hilfsmittel heranführen. 

Medien- und Demokratiebildung

Neben neuen Möglichkeiten der Kollaboration werden auch Chancen einer zunehmenden Teilhabe an demokratischen Prozessen immer wieder als ein wichtiges Merkmal innovativer Schulentwicklung beschrieben. Damit ändert sich auch die Rolle der Schülerinnen und Schüler, die durch spezielle Fortbildungsprogramme selbst zu Fachleuten werden und Lehrkräfte etwa beim Einsatz digitaler Hilfsmittel im Unterricht unterstützen können. „Teach the teacher“ heißt ein solches Projekt, entwickelt am Otto-Nagel-Gymnasium Berlin und vorgestellt im Rahmen der Innovationswerkstatt „Schüler*innen Partizipation“. Technikaffine Schülerinnen und Schüler, so die Idee, sind ideal an die Situation in der Schule angepasst und anders als immer wieder befürchtet, nehmen die Lehrkräfte die Expertenrolle der Schülerinnen und Schüler gerne an. Ganz ähnlich operiert Pacemaker, eine Initiative aus Nordrhein-Westfalen, die Schülerinnen und Schüler in den Unterrichtsentwicklungsprozess einbindet, um digitale Lernmittel genau so einzusetzen, dass sie für alle einen Mehrwert bringen. „Wir helfen dabei mit, den Unterricht cooler zu machen“, wie es ein Schüler einer am Programm teilnehmenden Schule auf den Punkt brachte.

Einen wichtigen Impuls zur Frage, was denn im Bereich regionaler Netzwerkbildung getan werden könne, um noch mehr Schulen für die Chancen der Digitalisierung zu begeistern, bot die Bertelsmann Stiftung mit einem Einblick in ein aktuelles Schulentwicklungsprojekt in der Region Gütersloh. „Unser Hauptziel war es, wirklich alle Beteiligte – vom Land, der Schulaufsicht, der Schulträger, den Bildungsbüros, Schulen, Schülerinnen und Schülern bis hin zu den Eltern – im Rahmen eines strukturierten Formats zusammenzubringen“, so Vorstandsmitglied Dr. Jörg Dräger. Nur dann habe man eine Chance, die hohe Komplexität und Heterogenität der deutschen Bildungslandschaft in den Griff zu bekommen: „In vielen Fällen operieren die Kommunen noch nicht einmal nach demselben Entwicklungsplan wie die Schulen.“ Mittelfristig plant die Bertelsmann Stiftung, im regionalen Kontext bewährte Change-Management-Programme auch für den nationalen Rahmen aufzubereiten. 

Veränderungsprozesse gemeinsam gestalten

Was bleibt von der Konferenz Bildung Digitalisierung 2019? Für Winfried Kneip, Geschäftsführer der Stiftung Mercator, vor allem die Erkenntnis, wie konstruktiv die Debatte um Digitalisierung im deutschen Bildungssystem inzwischen geführt wird. „Tatsächlich scheinen die meisten Beteiligten inzwischen zu begreifen, dass die Digitalisierung die Chance bietet, Schule endlich so zu reformieren, wie dies eigentlich seit Beginn der Reformpädagogik gefordert wird.“ Als Aufgabe für die Konferenzen der kommenden Jahre sah er, die Perspektive der Schülerinnen und Schüler noch stärker in den Fokus zu rücken. Dr. Nina Lemmens, Vorstand der Joachim Herz Stiftung, appellierte in ihrem Resümee nochmals an die Bereitschaft der Beteiligten, aktiv in Veränderungsprozesse zu gehen. „Für die Schülerinnen und Schüler, für die Lehrkräfte, für uns alle ist Digitalisierung gelebter Alltag. Konzepte haben wir genug. Machen wir doch einfach.“ Für die nächste Konferenz wünschte sich Lemmens einen noch konzentrierteren Blick ins Ausland.

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In diesem Jahr ist es gelungen, mit der Konferenz Bildung Digitalisierung wichtige Akteure im Bildungsbereich zusammenzubringen – von Bildungspraxis, Wissenschaft, Bildungsverwaltung und Zivilgesellschaft bis hin zur Bildungspolitik. „Die Tagung wächst von ihrer Vielfalt im Publikum her“, fasste es Prof. Dr. Birgit Eickelmann von der Universität Paderborn am Rande der Konferenz zusammen. Mit der Konferenz ermutigt das Forum dazu, Veränderungen beherzt und mutig anzugehen. Das stimmte auch Eickelmann zuversichtlich: „Jetzt fahren wir alle erst mal wieder nach Hause, bringen das in unsere Kontexte und machen daraus ein Schneeballsystem.“