Lehrkräftefortbildungen in der digital geprägten Welt – lebensbegleitend, systematisch und vernetzt

Foto: Florian Freund / CC BY 4.0
Foto: Florian Freund / CC BY 4.0
Die Lehrkräftefortbildung ist für das Gelingen der digitalen Transformation der Schulen ein entscheidendes Scharnier zwischen vorhandener Technik und ihrer lernförderlichen Nutzung im (Fern-) Unterricht. Wie Fortbildungskonzepte aussehen, die kollaborativ und wirksam die Gestaltung und Verbesserung von Unterricht fördern, zeigt ein Blick in die internationale Forschung.
An deutschen Schulen wird gerade unter Hochdruck die digitale Infrastruktur ausgebaut, um eine überfällige und notwendige Voraussetzung für das Lehren und Lernen in der digitalen Welt zu schaffen. Viele Lehrkräfte fühlen sich aber noch verunsichert und allein gelassen bei der Frage, welche Möglichkeiten und Methoden es zur konkreten Ausgestaltung des Unterrichts mit digitalen Medien gibt – und wünschen sich hier gezielte Unterstützungsangebote. Es braucht Orientierungsangebote und eine organisierte Form der Zusammenarbeit, bei der digital gestützter Unterricht technisch und pädagogisch-didaktisch realisiert wird. Im Rahmen grundlegend veränderter Fortbildungskonzepte kann diese Leerstelle gefüllt werden.
Häufig wird digitalen Medien zugesprochen, sie würden das Lernen revolutionieren (dazu etwa Dräger & Müller-Eiselt 2015). Hier lohnt ein genauerer Blick, denn die Bereitstellung digitaler Medien und einer geeigneten digitalen Infrastruktur allein, die mit Lehrkräftefortbildungen zu deren Bedienung verbunden wird, sind kein Garant dafür, dass damit eine Veränderung der Unterrichtspraxis einhergeht (Kerres & Waffner 2019). Technologische Innovation muss Hand in Hand mit pädagogischer Innovation gehen, um das Lehren und Lernen nachhaltig zu verändern. Nur auf diese Weise wird sie unserer zunehmend digitalisierten Lebens- und Arbeitswelt Rechnung tragen. Der Blick in die aktuelle Forschung zeigt jedoch, dass wir uns noch bedenklich nahe an der Vorstellung entlang bewegen, die schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorherrschte. Die Vision sah damals so aus: In der Schule des neuen Millenniums, also der Schule, wie wir sie heute vorfinden, würde es eine Maschine geben, in der die Lehrkraft geeignetes Wissen sammelt, das über Kabel und Kopfhörer in die Köpfe der Kinder gelangt. Die trügerische Verheißung der Vision lautet, dass sich Schule und Unterricht nicht verändern müssten, – die Technik allein minimiere den Aufwand und sichere den Lernerfolg.
In der empirischen Unterrichtsforschung kann festgestellt werden, dass digitale Medien in erster Linie als Präsentationsmedium und Ersatz für traditionelle Medien genutzt werden: „Der Computer als Lexikonersatz, das Tablet als Arbeitsplatzersatz und das Smartboard als Tafelersatz.“ (Zierer 2015; dazu auch Rana et al. 2018). Fortbildungen sollten daher zuallererst Möglichkeiten aufzeigen, digital gestützte Lerninnovationen zu entwickeln, zu erproben und dahingehend zu reflektieren, inwieweit sie ein pädagogisches Ziel erreichen. Systematische Fortbildungen, die über das Erlernen der Bedienung der Technik hinausgehen, sind daher nötig. Mit Blick auf die aktuelle Forschungsdiskussion zu Kompetenzen von Lehrkräften lässt sich festhalten, dass eine Verschiebung von einem technischen zu einem stärker pädagogischen Fokus erforderlich ist (Kerres 2020).
Lehrkräften können in der Mehrheit moderate bis gute technische Kompetenzen bescheinigt werden und auch selbst fühlen sie sich häufig sicher in der Bedienung digitaler Geräte, insbesondere des Smartphones (Mesfin et al. 2018; Mtebe & Raphael 2018; Muhaimin et al. 2019; Reichert & Mouza 2018; Yildiz 2018). Gleichwohl sind Kenntnisse über den fachdidaktischen Einsatz digitaler Medien dabei recht selten oder nur in Ansätzen vorhanden (Palkowitsch-Kühl 2018).
Seit jeher werden Lehrkräfte darin ausgebildet, inhaltliches Fachwissen und pädagogisches Wissen miteinander zu verknüpfen. An dieser Schnittstelle liegt ihr Können in der Vermittlung eines bestimmten Themengebiets. Das ist das fachdidaktische Wissen. In einer zunehmend digitalisierten Welt müssen die beiden Elemente Fachwissen (content knowledge) und pädagogisches Wissen (pedagogical knowledge) um ein weiteres Wissenselement erweitert werden: das technologische Wissen (technological knowledge). Dieses zielt darauf ab, Fähigkeiten und Fertigkeiten darüber zu erlangen, wie digitale Medien funktionieren und wie sie sich für Lernprozesse einsetzen lassen (Mishra & Köhler 2006). Das sogenannte TPACK-Modell veranschaulicht diese drei Wissenselemente und deren Überschneidungen:
Insgesamt wird in Forschungsstudien wenig überraschend festgestellt, dass die fachlichen und pädagogischen Kompetenzen von Lehrkräften stärker ausgebildet sind als die technologischen Kompetenzen. Wie erfolgreich allerdings digitale Medien für Lerninnovationen eingesetzt werden und eine Veränderung der Unterrichtspraxis erfolgt, hängt maßgeblich von pädagogischen und eben nicht von den technologischen Fähigkeiten der Lehrkräfte ab. Das stützt auch die These, dass das Potenzial digitaler Medien im Unterricht für zeitgemäße Lernformate in einer Verknüpfung aller drei Dimensionen liegt.
In der Tat stellt diese Verzahnung eine sehr herausfordernde und anspruchsvolle Aufgabe für Lehrkräfte dar, da weder durch die erste und zweite Phase der Lehrkräftebildung noch aus der eigenen Schulerfahrung bekannt ist, wie Lernprozesse digital gestützt angeregt und begleitet werden können. Als hilfreich erweist es sich in diesem Fall, wenn zunächst praxisnahe Hilfestellungen in Form von Anleitungen, Denkanstößen und ausgearbeiteten Unterrichtskonzepten Lehrkräften an die Hand gegeben werden, sodass sie sich am Beginn des Weges daran orientieren und erst nach und nach davon auch wieder lösen und ihre eigenen Wege gehen können. Dieses Vorgehen kann einen signifikanten Einfluss auf das Selbstbewusstsein haben und die berufliche Identität einer Lehrkraft erheblich stärken. Die Verbindung von fachlichem, pädagogischem und technologischem Wissen ist ein individueller Prozess des „TPACKing“ (Olofson, Swallow & Meredith 2016), der insbesondere durch Interaktionen im Klassenraum und durch die technische Umgebung beeinflusst wird.
Derzeit werden die mehrheitlich hochspezialisierten Fortbildungsprogramme von Lehrkräften als wenig praxisnah und transferorientiert wahrgenommen (Ludewig et al. 2013) und bieten damit in den Augen der Lehrkräfte manchmal kaum einen großen Mehrwert. Sie würden an ihren Bedarfen vorbeigehen, die eher auf der Vermittlung medientechnischer und pädagogischer Grundlagen lägen (Hankmann 2014). Zudem beruhen die Angebote häufig auf Konzepten medienpädagogischer Kompetenz und liefern damit keine Antwort auf die Frage, wie sich Lehrkräfte berufsbegleitend fortbilden, guten Unterricht gestalten und sich so in ihrer Professionalität weiterentwickeln können. (Schrammel 2010). Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, Fort- und Weiterbildungsangebote sowohl konzeptionell als auch inhaltlich zu überdenken.
Nicht digitale Medien sind es, die das Lernen revolutionieren, sondern Lehrkräfte, die entsprechend ihrer Profession digitale Medien für pädagogische Ziele einsetzen.
Um pädagogische und methodisch-didaktische Veränderungen in der digital gestützten Unterrichtspraxis nachhaltig zu ermöglichen, sind Angebote notwendig, die auf einem Dreischritt beruhen.
Ein Modell für erfolgreiche Medienintegration, das der digital geprägten Welt in besonderer Weise Rechnung trägt, beginnt an der Stelle, an der die öffentliche Diskussion häufig endet (Albion et al. 2015). Wenn grundlegende Bedingungen für das Arbeiten mit digitalen Medien wie technische Ausstattung, digitale Infrastruktur, zeitliche Ressourcen für pädagogische Fachkräfte und finanzielle Ressourcen für Schulen sowie ein technischer und administrativer Support vorhanden sind, braucht es zur Entwicklung innovativer, digital gestützter Lernformate drei zentrale Säulen. Diese drei Säulen sind für die Konzeption von Fort- und Weiterbildungen von entscheidender Bedeutung:
Nicht digitale Medien sind es, die das Lernen revolutionieren, sondern Lehrkräfte, die entsprechend ihrer Profession digitale Medien für pädagogische Ziele einsetzen. Neben den Gelingensbedingungen für den digitalen Wandel an Schulen sind daher vor allem die individuellen Haltungen und Fähigkeiten jeder Lehrkraft ausschlaggebend für die Art der Mediennutzung im Unterricht. Zeitgemäße Fortbildungen können hier ansetzen, um die vielfältigen didaktischen Möglichkeiten digitaler Medien unterrichtsnah aufzuzeigen und zugleich einen Rahmen für die kollaborative Zusammenarbeit an innovativen Unterrichtskonzepten zu schaffen.
Bettina Waffner koordiniert am Learning Lab der Universität Duisburg-Essen das BMBF-Metavorhaben Digitalisierung in der Bildung. In jährlichen Critical Reviews erarbeitet sie den aktuellen Forschungsstand zu zentralen Bereichen des Lernens in der Schule unter den Bedingungen der Digitalität. Sie beschäftigt sich mit dem Thema Schulentwicklung aus der Perspektive gestaltungsorientierter Bildungsforschung. Dabei geht es um weit mehr als um die Einführung moderner Technik in die Schule. Vielmehr liegt die Herausforderung darin, Schule als Organisation zeitgemäß zu gestalten und den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung zu tragen. Das macht deutlich, dass Digitalisierung von Schule als ein Organisationsentwicklungsprozess verstanden werden muss, der alle Akteure, die (Organisations-)Struktur und (Arbeits-)Kultur einbeziehen muss.
Dieser Blogbeitrag ist der dritte von drei Beiträgen in einer Reihe über die Bedeutung der Digitalisierung für Lehrkräfte sowie für die Fort- und Weiterbildung.
Dräger, J. & Müller-Eiselt, R. (2015): Die digitale Bildungsrevolution. Der radikale Wandel des Lernens und wie wir ihn gestalten können. München: Deutsche Verlags-Anstalt
Hankmann, M. (2014): Technik-Muffel oder digitale Avantgarde? Zur Ausstattung und Nutzung digitaler Medien in Schulen. Bildung spezial 4(4), S. 20-22
Kerres, M. & Waffner, B. (2019): Digital School Networks. Technology Integration as a Joint Research and Development Effort. In: R. M. Reardon & J. Leonard (Hrsg.): Integrating Digital Technology in Education: School-University-Community Collaboration (S. 227-241). Charlotte: Information Age Publishing
Mishra, P. & Koehler, M. J. (2006): Technological Pedagogical Content Knowledge. A Framework for Teacher Knowledge. Teachers College Record 108(6), S. 1017-1054
Mtebe, J. S. & Raphael, C. (2018): Eliciting In-Service Teachers’ Technological Pedagogical Content Knowledge for 21st-Century Skills in Tanzania. Journal of Learning for Development 5(3), S. 263-279
Olofson, M. W., Swallow, M. J. C. & Neumann, M. D. (2016): TPACKing. A constructivist framing of TPACK to analyze teachers’ construction of knowledge. Computers & Education 95, S. 188-201. https://doi.org/10.1016/j.compedu.2015.12.010
Rana, K., Greenwood, J., Fox-Turnbull, W. & Wise, S. (2018): A Shift from Traditional Pedagogy in Nepali Rural Primary Schools? Rural Teachers’ Capacity to Reflect ICT Policy in Their Practice. International Journal of Education and Development using Information and Communication Technology 14(3), S. 149-166
Schrammel, S. (2010): Medienpädagogisch professionelles LehrerInnenhandeln. Medien-Impulse 3, 14 S.
Weinberger, D. (2013): Too big to know. Das Wissen neu denken, denn Fakten sind keine Fakten mehr, die Experten sitzen überall und die schlaueste Person im Raum ist der Raum (Dt. Erstausgabe, 1. Aufl. ed.). Bern: Huber
Yildiz, C. (2018): Examination of Middle School Mathematics Teachers’ Experiences of Using a Smart Phone. Online Submission