Veranstaltungsbericht | veröffentlicht am 16.12.2020
KonfBD20: FAST FORWARD – Schulentwicklung digital
von Anja Reiter
In diesem Jahr stand die Konferenz Bildung Digitalisierung (#KonfBD20) ganz im Zeichen der digitalen Schulentwicklung. Neben dem Austausch über konkrete Konzepte für zeitgemäßes Lehren und Lernen wurden vor allem Visionen für die Schule der Zukunft diskutiert. Dabei wurde die Konferenz selbst zum digitalen Experiment.
Die Corona-Pandemie wirkte in den letzten Monaten wie ein Katalysator für den digitalen Kulturwandel an Schulen. Schulleitungen, Lehrkräften, Schüler:innen und ihren Eltern, aber auch Angestellten in der Verwaltung bei den Schulträgern wurde deutlicher denn je vor Augen geführt, wie wichtig die digitale Transformation des Bildungssystems ist. Im Rahmen der Konferenz Bildung Digitalisierung 2020 lud das Forum Bildung Digitalisierung unter dem Motto FAST FORWARD alle Interessierten zur gemeinsamen Reflexion über die gesammelten Erfahrungen ein, aber auch um unabhängig von den aktuellen Pandemie-Bedingungen einen breiten Einblick zu geben, was heute mit Blick auf digitale Bildung und digitale Schulentwicklung möglich ist.
Die Konferenz fand am 19. und 20. November 2020 statt und richtete sich an Akteur:innen aus der Bildungspraxis und -verwaltung und der Politik, daneben aber auch an Vertreter:innen aus der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft. Es bot sich ein breites Schaufenster mit guten Beispielen und wertvollen Impulsen, zugleich wagten alle Beteiligten gemeinsam einen Blick nach vorne. „Wir wollen Mut machen, neue Wege zu gehen – aber auch Altbewährtes zu hinterfragen“, formulierte Jacob Chammon, Vorstand des Forum Bildung Digitalisierung, zu Beginn der Konferenz. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung Anja Karliczek erinnerte in ihrem Grußwort, dass nicht immer alles „Fast Forward“ gehen könne. Als Reaktion auf die Pandemie habe die Politik zwar vieles schnell auf den Weg gebracht – von den Endgeräten für Schüler:innen bis zu den Kosten für IT-Administator:innen. Doch es müsse noch vieles passieren, etwa mit Blick auf die Weiterbildung und Qualifizierung von Lehrkräften hinsichtlich ihrer digitalen Kompetenzen. „Am Ende müssen alle mitgenommen werden“, betonte Karliczek.
Konferenz Bildung Digitalisierung findet erstmals vollständig digital statt
Coronabedingt wurde die nunmehr fünfte Konferenz Bildung Digitalisierung selbst zum Experiment: Statt sich wie in den letzten Jahren persönlich in Berlin zu treffen, konnten sich die knapp 1.700 aktiven Teilnehmenden in einer digitalen Konferenzumgebung vernetzen, miteinander diskutieren und an den zahlreichen Programmpunkten teilnehmen. Während der Austausch am ersten Tag reibungslos gelang, kam es am zweiten Tag zu technischen Komplikationen. Die über 100 Speaker:innen stellten ihre Agilität, Geduld und technische Flexibilität unter Beweis. Am Ende wurde die Veranstaltung somit zugleich zur Live-Demonstration für agile Problemlösung.
Das Programm der KonfBD20 war mit über 60 Programmpunkten wieder sehr divers und dicht. Die Sessions und Workshops drehten sich dabei weniger um Grundlagenfragen der digitalen Ausstattung, Pädagogik und Technologie, sondern vielmehr um fortgeschrittene Themen der digitalen Didaktik und Schulentwicklung in einer digital geprägten Welt. Diskutiert wurden Fragestellungen wie Nachrichtenkompetenz, Partizipation von Schüler:innen an der Schulentwicklung und selbstorganisiertes Lernen. Daneben standen auch die konkreten didaktischen Herausforderungen in bestimmten Fachdisziplinen auf der Tagesordnung, etwa der Einsatz von Youtube-Videos im Chemieunterricht oder Englischlernen mithilfe von Virtual Reality.
Die Teilnehmenden konnten sich pro Zeitslot jeweils für einen von insgesamt sieben virtuellen Räumen mit Workshops und Sessions entscheiden. Schulleitungen, Schüler:innen und Lehrkräfte stellten darin Best Practices der digitalen Bildung vor, Forscher:innen und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen aus Universitäten gaben Einblick in den State of the Art der Bildungsforschung, Stiftungen und zahlreiche Organisationen aus der Zivilgesellschaft präsentierten ihre Projekte und Lern-Apps. Wer keinen der begrenzten Workshop-Plätze mehr ergattern konnte, hatte die Möglichkeit, hochkarätig besetzte Panels, Keynotes und Talks im Livestream zu verfolgen und im partizipativen Chat mitzudiskutieren.
Panels zu großen Fragen: Bildungsgerechtigkeit und die Zukunft des Lernens
Das Eröffnungs-Panel startete mit der großen und gewichtigen Frage: „Wie kann digitale Schulentwicklung dem Anspruch nach mehr Bildungsgerechtigkeit gerecht werden?“ Dorothee Bär, Staatsministerin für Digitalisierung, betonte in ihrem Eingangsstatement, dass digitale Bildung ihr Herzensthema sei, die digitale Transformation an den Schulen vor der Pandemie aber viel zu langsam verlaufen wäre. Jetzt aber gebe es die Chance, das nachhaltig zu ändern: „Wir müssen den aktuellen Spirit für die Zeit nach Corona mitnehmen.“ Saraya Gomis, ehemalige Antidiskriminierungsbeauftragte der Berliner Schulen und nun für den Verein Each One Teach One (EOTO) aktiv, entgegnete, dass digitale Tools kein Allheilmittel seien, um benachteiligten Gruppen bessere Chancen zu bieten. Zu vielen Kindern und Jugendlichen sei der Zugang zu digitaler Technologie verwehrt und manche Algorithmen würden Minderheiten diskriminieren.
Im Panel „Zukunft Lernen – Systematisch die Potenziale digitaler Medien für das Lernen ausschöpfen“ lieferte Katharina Swinka, Sprecherin des Landesschülerrats Brandenburg und Koordinatorin für Inneres bei der Bundesschülerkonferenz, eine ernüchternde Zusammenfassung über den Status quo der digitalen Mediennutzung in heimischen Klassenzimmern: „Die Situation ist von Region zu Region unterschiedlich, doch im Gesamten gibt es noch viel Luft nach oben.“ Zwar würden einzelne Schulen digitale Medien bereits stark in den Unterricht einbinden, manche Lehrkräfte würden sich aber auch strikt weigern, „auch nur ansatzweise in die Nähe von digitalen Endgeräten zu kommen.“ Nina Smidt, Geschäftsführende Vorständin und Sprecherin der Siemens Stiftung, brachte die internationale Perspektive in die Diskussion. In Lateinamerika baue die Siemens Stiftung über den gesamten Kontinent hinweg ein Netzwerk auf, um digitale MINT-Bildung flächendeckend anzubieten. Internationale Impulse, gerade aus Ländern, die man nicht immer auf dem Radar habe, seien hochspannend – auch für die Arbeit in Deutschland: „Für den deutschen und europäischen Bildungsdiskurs können wir sehr viel aus anderen Ländern mitnehmen und implementieren.“
Vielfältige Stimmen: Lehrkräftequalifizierung und Kooperation in Bildungsregionen
Am Freitag stand das erste Panel ganz im Zeichen der Lehrkräftequalifizierung. Vertreter:innen aus Bildungspolitik, Zivilgesellschaft und Lehrkräftebildung diskutierten, wie Lehrkräfte im Rahmen des DigitalPakt Schule nachhaltig qualifiziert werden können. „Wir brauchen nicht nur Lehrkräfte, die mit Technik umgehen können“, betonte Myrle Dziak-Mahler, Geschäftsführerin des Zentrums für LehrerInnenbildung an der Universität zu Köln, und ergänzte: „Wir brauchen ein agiles Mindset.“ Die Digitalisierungsdebatte dürfe nicht zu kurz greifen und bloß technische Skills umfassen. Lehrkräfte müssten auch in der Lage sein, Schüler:innen Veränderungsbereitschaft, sogenannte Change Literacy, zu vermitteln. Britta Ernst, Ministerin für Bildung, Jugend und Sport in Brandenburg und künftige Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), forderte: „Wir müssen das Einzelkämpfertum an den Schulen abschaffen.“ Lehrkräfte sollten vermehrt zusammenarbeiten und voneinander lernen. Auch Ekkehard Winter, Geschäftsführer der Deutsche Telekom Stiftung, regte kollegiale Kooperation, mehr gegenseitige Hospitationen und Mikrofortbildungen an sowie eine bessere Ausbildung der Fortbildenden selbst.
In der letzten Panel-Diskussion diskutierten Vertreter:innen aus Bildungsverwaltung, Schulpraxis und Bildungsforschung, wie die Digitalisierung in einer Bildungsregion gemeinsam gemeistert werden könne. Esther Dominique Klein, Professorin für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Schulentwicklungsforschung an der Philipps-Universität Marburg, beklagte, dass es in der Forschung noch zu wenige Erkenntnisse über die Gelingensbedingungen erfolgreicher Kooperation in einer Bildungsregion gebe. Christian Büttner, Leiter der IT-Strategie für Nürnberger Schulen, berichtete dazu aus seiner Stadt: Nur durch die Kombination aus Transparenz, Kommunikation und Standardisierung würde Vertrauen zwischen allen Beteiligten in der Bildungsregion entstehen: „Wir haben die Schulen eingeladen und gefragt: Wie wollt ihr in Zukunft unterrichten? Dann haben wir unsere Techniker gefragt, welche Ausstattung dafür notwendig ist.“ Die Ergebnisse seien in die IT-Strategie für Nürnberger Schulen gemündet – mit einem ganzheitlichen und damit nachhaltigen Ansatz aus Lehrkräftefortbildung, Ausstattung und Kommunikation.
Gesellschaftlich relevante Themen standen in den Workshops und Sessions besonders im Fokus
In den Sessions, die parallel zum Livestream-Programm liefen, konnten die Teilnehmenden der KonfBD20 selbst aktiv werden. In einem Workshop der Initiative Lie Detectors, die mit professionellen Journalist:innen zusammenarbeitet, überprüften die Teilnehmenden ihre eigene Medienkompetenz. Wie enttarnt man eine gefälschte Nachricht? Was entgegnet man den Großeltern, wenn sie behaupten, Bill Gates habe das Coronavirus in die Welt gesetzt? Anhand verschiedener Beispiele stellten Juliane von Reppert-Bismarck und Charlotte Carnehl vor, wie ihre Organisation Nachrichtenkompetenz in Form von Unterrichtsbesuchen in der Schule verankert.
Gleich mehrere Workshops befassten sich mit digitaler Projektarbeit und der Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen. In einer Session stellte Clarence Dadson seine Virtual-Reality-App zum Thema Diversity und Anti-Rassismus vor: Die Anwendung AugenBLICK mal!, die aktuell noch in der Entwicklung ist, lässt Schüler:innen mithilfe von 3D-Brillen und Motion-Capture-Technologie in die Rolle von diskriminierten Personen schlüpfen. Indem Gedanken der involvierten Personen erlebbar und hörbar werden, sei ein Perspektivwechsel möglich. Auch die Plattform Digital Sparks, die im Rahmen des #wirfürschule Hackathons entstanden ist und vom Education Innovation Lab vorgestellt wurde, bringt gesellschaftliche Themen an die Schule. Die Online-Workshops können für Schüler:innen ab der 9. Klasse gebucht werden und sollen die aktive, kollaborative, fächerübergreifende und kreative Auseinandersetzung mit Fragen der Zukunftsforschung, des Umweltschutzes, der Künstlichen Intelligenz oder der Geschlechteridentität ermöglichen.
Perspektivwechsel auf allen Ebenen
Neben dem Kennenlernen von derlei inhaltlichen Angeboten ermöglichte die KonfBD20 auch den Austausch über grundsätzliche Fragen der digitalen Schulentwicklung. Insbesondere die Schüler:innenperspektive war auch in diesem Jahr wieder vertreten. In einem Workshop, angeleitet von der Pacemaker Initiative, diskutierten Schüler:innen mit Lehrkräften darüber, wie die Schüler:innenschaft besser an Schulentwicklungsprozessen teilhaben könne. In einem anderen Slot stellten Vincent Lohkamp und Finn Siebold ihre Vision eines Hackathons für die Schulentwicklung vor: Damit könnten Schüler:innen selbst die Initiative ergreifen, Herausforderungen an ihrer Schule angehen – und ganz nebenbei etwas über Demokratie lernen.
Doch auch die Perspektive der Schulleitung und der Lehrkräfte kam nicht zu kurz. Die Sonderpädagogin Lea Schulz, Studienleiterin am Institut für Qualitätsentwicklung für Schulen in Schleswig-Holstein, stellte den Begriff DiKlusion zur Diskussion: Wie können digitale Medien und Inklusion an der Schule gemeinsam gedacht werden? Wie können Lehrkräfte sichergehen, dass bei der Digitalisierung niemand auf der Strecke bleibt? Daniel Otto und Josef Buchner vom Learning Lab der Universität Duisburg-Essen stellten in einer unterhaltsamen Session verbreitete Mythen aus der Bildungsforschung auf den Prüfstand. Welchen wissenschaftlichen Wahrheitsgehalt haben Aussagen wie „Kein Frontalunterricht“ oder „Lernen muss Spaß machen“? Inwiefern halten diese Mantras dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn stand? Die beiden Forscher zeigten etwa anhand aktueller Studien, dass Spaß kein Indikator für den Lernerfolg ist und Lernen immer ein gewisses Maß an kognitiver Anstrengung erfordert.
Fazit: Lebendig, divers und partizipativ!
Nach zwei Tagen wurde klar: Das Experiment, die KonfBD20 als Leitkonferenz für gute Schule in der digitalen Welt in den virtuellen Raum zu übertragen, ist geglückt. Trotz technischer Komplikationen ist es zum ersten Mal gelungen, hunderte Akteure aus Bildungspraxis, Wissenschaft, Bildungsverwaltung, Zivilgesellschaft und Bildungspolitik im digitalen Raum zusammenzubringen. Bis zu 700 Personen waren während der Veranstaltung gleichzeitig im Livestream sowie den Sessions und Workshops unterwegs. Jacob Chammon zeigte sich begeistert von der Themenvielfalt des Programms und von der lebendigen und partizipativen Diskussion im digitalen Raum.
Teilnehmende wie Anne Lützelberger, Netzwerkexpertin und Bildungsaktivistin, bedankten sich auf Twitter und anderen Kanälen für das „gut gelaunte Krisenmanagement“. Katja Anokhina von der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft fasste es treffend zusammen: „Der Diskurs ist dichter geworden, die Themen frischer, die Expertenvielfalt größer.“ Sie ist sich sicher: „Die digitalen Konferenzen wird es auch ohne Corona geben.“